Die Versuchung des heiligen
Antonius
"Die Versuchung des heiligen Antonius" 1946 - Öl auf Leinwand 89,7 x 119.5 cm Museés Royaux des Beaux Arts de Belique, Brüssel |
Mit seiner Interpretation vom Thema der "Versuchung des heiligen Antonius" nimmt Dalí im Jahre 1945/46 an einem Wettbewerb für ein Bild Teil, welches für einen Film benötigt wird. Neben ihm beteiligen sich auch noch andere Vertreter des Surrealismus, wie Max Ernst, der nachher diesen Wettbewerb gewinnt.
Auf dem Bild kann man einen Mann ausmachen (Antonius), der in der linken unteren Ecke halb kniet und sich mit seiner linken Hand auf einem Felsen aufstützt. In seiner rechten Hand hält er ein Kreuz starr in einer Abwehrhaltung vor sich. Das Kreuz ist aus zwei Stöcken gefertigt und mit einem einfachen Band zusammengehalten.Dieses "Werkzeug des Exorzismus" soll ihm in diesem Bild Schutz gewähren, doch es mutet gegen die anrückende Gefahr, die später beschrieben wird, eher lächerlich an.Kenntlich als Heiliger wird er durch einen Ring, der wahrscheinlich ein Heiligenschein darstellen soll. Vor ihm liegt ein Totenschädel, der mit dem "Gesicht" Antonius zugewandt ist. Dieser gilt zusammen mit dem Kreuz als ein traditionelles Attribut des Heiligen, durch seine Blickrichtung mag er aber auch für das drohendes Schicksal, jenen betreffend, gelten.
Neben dem eben angesprochenen Felsbrocken liegen noch zwei weitere Steine auf der ansonsten, bis auf die Gestalten, leeren Ebene, die wohl für die Plastizität des Untergrunds stehen soll. Als weiteres Element des natürlichen Reliefs gilt die kurze Hügelkette, die im Hintergrund am Horizont zu sehen ist.
Auf der Ebene befindet sich eine Kette von Tieren, die sich auf Antonius zubewegen.
Als erste Gestalt ist ein Pferd zu sehen, das sich aufbäumt. Das Tier fletscht die Zähne und wirkt auch sonst durch seine aufgeblähten Nüstern und die wilde Mähne sehr bedrohlich. Besonders fallen die Gliedmasse auf, die Hinterbeine sind unterschiedlich dick, über das natürliche Mass hinaus ,ca. doppelt so lang und knochig. An den Vorderhufen sind die Hufeisen umgekehrt herum befestigt, und seltsame Fäden, oder Matsch oder ähnliches hängen herunter.
Direkt hinter dem Pferd bewegt sich ein Elefant auf den Heiligen zu, auf seinem Rücken befindet sich ein Podest, in Form eines Pokals oder Kelches, auf dem eine Frau mit wehendem Haar in verführerischer Position steht. Das Tier selbst wirkt kleiner als das Pferd, was aus der Tatsache resultiert, dass der Elefant ein Stück weiter hinten steht, und sich nicht aufbäumt. Auch hier haben die Beine eine zwei bis dreifache Überlänge, sind dürr und sehnig und haben zusätzlich mehr Gelenke als natürlich. Die Beinansätze sind ebenfalls unnatürlich gesetzt, und nicht klar erkennbar. Im Gegensatu zu den unmittelbar nachfolgenden Elefanten hat das zweite Tier keine Stosszähne (indischer Elefant ?). Um die Bewegung auf Antonius zu deutlich zu machen ist das Tier , genau wie das Pferd, in einer dreiviertel Perspektive dargestellt.
Dieses ist beim zweiten Elefanten nicht so. Seine Position ist mehr seitlich zu sehen, was im starken Kontrast zu der Ladung steht, welche er auf dem Rücken trägt. Ein "Obelisk" ist dort auszumachen, der in einer sehr langgestreckter Pyramidenform dargestellt ist. Dieser Obelisk steht nun mit seiner Grundfläche genau orthogonal zur Rückenlinie des Tieres und präsentiert sich dem Betrachter beinahe frontal. Ausserdem ist, wie bei dem Elefanten vor ihm nicht klar erkenntlich, wie die Lasten auf dem Rücken befestigt sind, denn in einer stabilen Lage können sie bei der Höhe nicht liegen, dieses ist eines der vielen Stilmittel eines surrealen Bildes, welche bewusst eingesetzt werden. Das Tier erscheint insgesamt höher als sein Vorangänger, trotz der Tatsache, dass er entschieden weiter hinten zu stehen scheint. Ausgeglichen wird der Grössenverlust, durch die Perspektive, durch eine entschiedene Verlängerung der Beine. Konnte der erste Elefant noch mit, zwar langen und dünnen, doch als Beine erkennbaren Gliedmassen aufwarten, haben die Beine des zweiten Elefanten mehr von einem Insekt. Die Linien scheinen sehr schwungvoll und wie mit Tinte gezeichnet, haben durch ihre Länge die Wirkung von etwas unerklärlich irrational Übermächtigem.
Das nachfolgende Tier ist ebenfalls ein Elefant, und er hat, wie der Zweite ebenfalls Stosszähne, und wie das Pferd die seltsamen Pflanzenreste an sich, die ihm einen alten, angestaubten Eindruck anhängen, als würde er aus der Hölle kommen. Erneut wird bei diesem Tier die Perspektive, die eigentlich dafür sorgt, dass der Elefant niedriger liegen müsste als der vor ihm, durch eine Verlängerung der Beine erreicht. Diesmal werden sie noch zusätzlich in verschiedene Richtungen auf dem Boden aufgesetzt, ein Bein ragt aussergewöhnlich nach hinten, das andere setzt weiter vorne auf, als eines der Vorderbeine. Die Eigenschaften eines Beines scheinen komplett verloren gegangen zu sein. Dalí verfährt so, um den Betrachter zu irritieren und zu genauerem Hinsehen anzuregen. Auf dem Rücken des Giganten steht ein Teil eines Tempels, der mit einem Sattel auf dem Rücken befestigt ist. Während der erste Elefant noch unbekleidet, der zweite bereits eine Rückendecke, hat der dritte bereits diesen Sattel, und zusätzlich einen Kopfschmuck, was inhaltlich einer Steigerung entspricht. Der Rüssel des Elefanten ist in einer Spirale aufgerollt, was allerdings nicht unnatürlich, sondern eher verspielt wirkt, was ein wenig den Ernst aus der Situation nimmt. Die Figuren der Elefanten wirken für sich selbst nämlich nicht so übermächtig wie das Pferd. Allein die Beine und eventuell die ausdruckslosen Augen unterstützen die Bildaussage des Bedrohlichen.
Der vierte Elefant trägt den überaus grösseren Teil des Tempels und befindet sich ungefähr auf der gleichen Höhe, wie der dritte Elefant, doch er neigt sich dem Zuschauer mehr zu, als sein Nachbar. Dieser nimmt nämlich eine seitliche Position ein, während der vierte Elefant mehr wie der zweite steht. Im Bildmoment durchaus möglich, doch können die beiden ob ihrer Last ihre Richtung nicht so fortsetzten, eine Kollision stände bevor. Auf welche Art und Weise der Tempel auf die beiden Tiere aufgeteilt ist kann nicht genau geklärt werden. Die zwei Elefanten tragen den Tempel zusammen, in Anbetracht der Tatsache, dass die zwei Tiere sehr weit im Hintergrund stehen und ihre Körper trotzdem relativ vergrössert sind lässt erst spät erkennen, dass auch der Tempel sehr massig sein muss , was aber nicht auffällt, da auch ein anderer Faktor mit hineinspielt, der nackte Frauenoberkörper, der hinter dem Eingangsportal zu sehen ist degradiert dieses zu einem Fenster, denn die Grösse der Frau entspricht in etwa der Nackten auf dem Podest, was ebenfalls das Gebäude optisch verkleinert. Auch die anderen Figuren auf dem Gebäude, wie der Trompeter auf dem Dach verkleinern dieses. Der Tempel sieht sehr römisch aus, mit der Kuppel und eben jenen Statuen. Ansonsten weist dieses Tier sehr ähnliche Charakteristika auf, wie der Nachbarelefant, nur dass seine Hinterbeine bereits so weit im Hintergrund stehen, dass sie im Distanznebel verschwinden.
Der letzte der Dickhäuter fällt im Vergleich zu den anderen etwas aus dem Rahmen. gemäss dem Bein - Körper Verhältnis entspricht er am ehesten dem zweiten Elefanten, doch er befindet sich nicht in der Reihe der anderen Tiere. Er befindet sich noch weiter im Hintergrund, hinter dem Horizont, denn es sind keine Aufsatzpunkte der Beine zu sehen. Die Perspektive wird aber diesmal nicht durch die Verlängerung der Beine ausgeglichen, wie es bei den Vorhergehenden gemacht wurde. Daher ist das Tier scheinbar abgelegener und isoliert von der Gruppe. Auf dem Rücken dieses Giganten steht der anscheinend höchste aller Bauten, ein Turm, der bis über die Wolken hinaus reicht, als einziger. Eine Besonderheit des Turmes ist die Tatsache, dass er nur ein sichtbares Fenster besitzt, ganz oben, und unten eine Tür.
Auf der Höhe des Fensters, auf den Wolken gebaut, befindet sich eine Ansammlung von Gebäuden, die eine Stadt oder eine Burg darstellen sollen. Sie sind nur schwer auszumachen, da sie durch Wolken und Nebel nur sehr schwach zu sehen.
Weitere Gegenstände mit zum Teil perspektivenbetonender Wirkung sind auf dem Bild verteilt, wie etwa den weiteren Personen, die auf der Ebene verstreut stehen. Sie sind dafür zuständig, die Grösse der einzelnen Tiere zu verdeutlichen. Die Wolke, die zwischen den Beinen des dritten Elefanten schwebt ist ebenfalls für Höhe zuständig. Als eine weitere Figur ist eine Engelartige Figur im Hintergrund auszumachen, die scheinbar hinter einer Figur mit Kreuz zu schweben scheint.
In der Formgestaltung des Bildes bilden organische und tektonische Elemente eine ausgewogene Struktur, dabei sind alle auf dem Bild vorkommenden Lebewesen von organischer Struktur, Elemente wie der Obelisk, der Kelch oder die verschiedenen Gebäude rein tektonischer Natur. In der Gesamtheit des Bildes sind aber auch die Abgrenzung zwischen Himmel und Boden eine tektonische Struktur, während auf der anderen Seite die Wolken am Himmel einen organischen Kontrast bilden.
In der Mitte des Bildes wird dabei am Meisten Gewicht positioniert, die Tiere sind relativ dicht aufeinander gedrängt, während die Landschaft und Himmel eine relativ freie Fläche und Leere bilden. Als kleine Strukturansamlungen können dabei auf der linken Hälfte unten der kniende Antonius und seine Umgebung, auf der rechten Seite weiter oben sind es der letzte Elefant und die Stadt in den Wolken, die ein Gegengewicht bilden. In der Vertikalstruktur ist keine Art von goldenem Schnitt zu erkennen, das Übergewicht des Himmels dominiert das Bild, die extrem gerade Horizontlinie teilt diese beiden Flächen ein, sie ist gleichzeitig die wichtigste Linie des ganzen Bildes und bildet die klare Flächen- und Perspektivengliederung. Eine Parallele wird durch eine Linie bestimmt, die über die Rücken der Elefanten zu verlaufen scheint, aber in Richtung Antonius auf ihn zu abfällt, und auf der anderen Seite imaginär durch den Turm und die Wolkenbebauung verlängert wird.
Eine dritte Waagerechte wird durch den oberen Bildrand in der Mitte gebildet wo an den jeweiligen oberen Enden aller Figuren ein und dieselbe Höhe erreicht wird.
Zusätzlich gibt es noch zwei bedeutende Diagonale, eine das Pferd entlang, die andere über das hintere Bein des dritten Elefanten und den Tempel. Zusammen mit der obersten Linie kann eine Struktur ähnlich einer Welle ausgemacht werden, die über Antonius zusammenzubrechen droht. Diese strukturelle Wirkung verstärkt die beängstigende Wirkung der Figuren ansich.
Um dem Bild einen festen Rahmen zu geben wurde jede Ecke des Bildes in einer dunklen Farbe schattiert.
Die Farben sind allgemein nicht zur Aussage des Bildes unbedingt passend. Sie sind sehr abwechslungsreich und leuchtend. Helle und dunkle Farbtöne wechseln sich ab, wirken dabei nicht kalt. Die Farbwahl ist der anderer Dalí - Bilder sehr ähnlich, der oft sehr reine Farben benutzte. Die Farbfelder sind klar abgegrenzt und innerhalb sehr gut abgestuft um die Plastizität hervorzuheben.
Der Anteil der hellen und dunklen Objekte ist ausgewogen, das Pferd kontrastiert dabei die Elefanten. Auf dem Boden gibt es aber keine Perspektivenabstufung durch eine Farbabstufung , die allerdings durch die Dunkelheit der Figuren im Hintergrund ersetzt wird.
Das Licht ist insgesamt mit einem realistischen Ursprung versehen. Es kommt von rechts und erzeugt auf allen Objekten realistische Oberflächenschatten. Die Schlagschatten hingegen sind verkürzt und teilweise nur angedeutet.
Die Dreidimensionalität des Raumes wird zwar durch Licht und die Körperhaftigkeit der Figuren angestrebt, wird aber unterbrochen durch die oftmals flache Darstellung mancher Elemente. Gleichzeitig wird mit Perspektive und Raum gespielt, wie die mangelnde Möglichkeit, die Positionen aller Personen, Tiere, und Gebäude eindeutig zu bestimmen und der Perspektivenausgleich, den die Elefanten von Vorne nach Hinten anstreben durch die verlängerten Beine. Durch die Raumeinteilung mit dem schmalen und dabei trotzdem weiten Boden schafft Dalí einen Ausgleich zu der Fläche des Himmels, der flach und nicht perspektivisch gestaltet ist.
Die Figuren selbst sind an- und fürsich in der Darstellung ihres Volumens realistisch gestaltet mit konvexen Formen massig herausgearbeitet. Im Gegensatz dazu sind die unnatürlichen Formen der dürren Spinnenbeine.
Die Körper der Elefanten wirken durch ihre Blockhaftigkeit sehr unbewegt und ruhig, was nicht zu den wellig-dynamischen Beinen passt, die praktisch ein Eigenleben haben. Der Körper des Heiligen ist dabei in einer gegenläufigen Bewegung zu der des aufsteigenden Pferdes zu sehen welches sich diagonal auf Antonius zubewegt, während sich Antonius schräg von ihm wegbewegt.
Der Betrachter erhält von Dalí eine niedrige Position, von der er das Geschehen betrachtet. Das "Objektiv" ist dabei sehr weit eingestellt und leicht nach oben gerichtet.
Die Blickführung lenkt Dalí dabei von den bedeutungsvollen Gestalten in der Mitte des Bildes auf den Heiligen in der linken unteren Ecke, durch die Richtung in der die Tiere sich bewegen und blicken.
Wenn Dalí seine Version des Themas der "Versuchung des heiligen Antonius" erstellt, dann ist bei ihm im Gegensatz zu Max Ernst mehr von der Aussage des Surrealistischen Manifests und Dalís eigener paranoisch-kritischen Methode enthalten. Die Versuchung selbst wird bei ihm in einer nicht so mystischen und mit typischen Höllenfiguren versehenen Darstellung geschildert. Dalí hat sich scheinbar nicht nur mit dem Vorbild des "Isenheimer Altars" auseinandergesetzt, wie vielleicht Max Ernst, der sich ja stark daran anlehnte in seiner Interpretation. Er hat sich offensichtlich mit den schriftlichen Erzählungen von Athanasius beschäftigt, der ausführlich das Leben des Heiligen schildert. Von ihm übernimmt er Themen für sein Bild. So hat der ägyptische Gläubige sich in die Wüste begeben um in der Abgeschiedenheit vom herrschenden römischen Staat seines Glaubens leben zu können. In diesem Kontext wird in seinem asketischen Leben von Versuchungen gesprochen, die ihn in Form von Dämonen erreichten, die ihn quälen. Im Bild Dalís ist die Wüste zu erkennen, in die sich der Heilige begeben hat, und ihm gegenüber die mannigfaltigen "Dämonen". Athanasius berichtet davon, dass der Teufel ihm jede Nacht eine neue Versuchung schickte, mal eine wilde Furie, bei Dalí ist dafür das Pferd zu sehen, mal scheinbare Ehre und Achtung, vielleicht der Obelisk, und als die vielleicht höchste aller Versuchungen, eine nackte Frau, die bei Dalí sogar zweimal auftaucht. Allerdings übernimmt Dalí nicht nur, so ist bei ihm neu, dass sämtliche Tiere bei Dalí nicht bei Athanasius auftauchen, der nennt von Schlange bis Bären alles, was nur irgend eine gefährliche Bedeutung haben könnten, Pferd und Elefant fügt aber nur Dalí hinzu. Doch eine Gemeinsamkeit haben die beiden, nämlich dass die beiden die Schilderungen auf eine Imaginäre Ebene heben und die Dämonen als "Trugbilder" beschreiben, was vermutlich Dalí dazu brachte sich dieses Themas anzunehmen, denn Trugbilder sind essentielle Bestandteile des Surrealismus. Antonius selbst vertrat ähnliche Meinungen, die er seinen Schülern die er in der Wüste lehrte. Antonius gilt heute als der erste Mönch und die Tatsache, dass er aus Protest gegen die staatliche Herrschaft, und die moralisch erschwachte Kirche dieses Leben vorzieht führt Dalí zu der untergründig versteckten Kritik an der Verweltlichung des Glaubens, denn innerhalb des Tempels zeigt der nackte Frauenkörper klar die Situation der christlichen Situation der Zeit.
Die Mystifikation und das scheinbare Ideal in Dalís Vorstellung liegt in der sich in den Wolken befindlichen Klosterburg, die unerreichbar scheint und dadurch das Schicksal von den Protesthandlungen ähnlich der des Antonius aufzeigt.